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Das Normale normal sein lassen und auf das Besondere vorbereitet sein
Das deutsche Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen auch in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt.

Das Kinderkriegen gehört zu den schönsten und einzigartigsten Erfahrungen von werdenden Eltern und ihren Familien. Gleichzeitig ist es auch das Normalste der Welt. Schwangere, Gebärende sowie Mütter und ihre Kinder benötigen besondere Aufmerksamkeit, haben aber als gesunde Menschen ganz andere Bedürfnisse als Kranke.  


Das Gebären ist als kreativer und stärkender Akt weit mehr als ein körperlicher und medizinischer Vorgang. Es ist ein psychologisches, psychosoziales und gesellschaftliches Ereignis. Und dennoch werden in Deutschland schwangere Frauen und Gebärende in ein System eingebunden, das für kranke Menschen entwickelt wurde. Das Ergebnis ist eine Überversorgung gesunder Frauen – und parallel teilweise eine Unterversorgung kranker Frauen. Eine Überversorgung mit technologischen und medizinischen Eingriffen bei gleichzeitiger Unterversorgung mit Beratungsangeboten zu körperlichen, emotionalen, sozialen und psychoökonomischen Herausforderungen. Diese systematische Fehlversorgung führt zu enormen Kosten und maximal mittelmäßigen Ergebnissen in Bezug auf die Gesundheit von Mutter und Kind. Das muss sich ändern.  


Die Lösung ist ebenso einfach wie in Deutschland anscheinend nicht umsetzbar:  
Es muss endlich anerkannt werden, dass das Geburtserleben nachhaltige Auswirkungen auf das weitere Wohlbefinden der Familien hat! Es beeinflusst sowohl die frühkindliche Bindung und damit die Entwicklung zu gesunden, resilienten Erwachsenen als auch den mütterlichen Wunsch nach weiteren Kindern. Für diesen guten Start braucht es zunächst keine technologische Überwachung oder medizinische Interventionen, sondern Zuversicht und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Hebammen sind hier als einzige Berufsgruppe, die spezifisch für die Begleitung dieses Lebensabschnitts ausgebildet ist, die richtigen Ansprechpartner*innen. Sie müssen fester Bestandteil der Grundversorgung sein, um für die vielen gesunden Frauen und ihre Kinder wohnortnah und niedrigschwellig erreichbar zu sein. Sie erkennen frühzeitig Abweichungen vom Normalen und leiten an weiterführende Hilfsangebote weiter. Das Potenzial dieser Berufsgruppe und ihrer Arbeit ist in Deutschland bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Wie diese gelingen kann, machen uns andere Länder vor.  

In Deutschland stehen dem eine enorme Technologiegläubigkeit sowie starre Hierarchien innerhalb und zwischen den Berufsgruppen gegenüber, die eine Dominanz der Intensiv- und Universitätsmedizin zur Folge haben.  


Lösungsansätze, die in Deutschland gefordert werden, sehen vor, dass kein Kind mehr ohne unmittelbare Nähe zu einem Neonatologen oder einer Neonatologin geboren werden darf. Weite Wege werden damit billigend in Kauf genommen, gut etablierte kleinere Geburtskliniken werden geschlossen. Der damit verbundene Stress für Eltern und Kinder sowie der erschwerte Start ins Familienleben geraten völlig aus dem Blick. Es wird auch außer Acht gelassen, dass das niedrigste Versorgungslevel im Taxi, am Straßenrand oder im Rettungswagen vorhanden ist. Dabei ist eine qualitativ hochwertige Grundversorgung vor Ort ist für gesunde Kinder und Familien ebenso essentiell wie eine Versorgung kranker Menschen in hochspezialisierte Zentren. Sie darf durch eine einseitige Vorgehensweise nicht ersetzt werden.  

Daher ist es essentiell, für eine humanere Geburtshilfe einzutreten. Mit der Kampagne und Petition “Frauen zahlen den Preis“ des DHV, die bestehende Missstände in der Geburtshilfe anprangert, fordern wir nicht nur eine Reform des Systems, sondern auch eine grundlegende Neubewertung, wie wir Schwangerschaft und Geburt in unserer Gesellschaft wahrnehmen. Die Bedeutung familiärer Bindungen, die durch ein positives Geburtserlebnis gefördert werden, muss endlich stärker in den Fokus genommen werden.  

In einer Zeit, in der der Mensch und seine Bedürfnisse oft von der Technologie überlagert werden, ist es wichtig, das Normale normal sein zu lassen und auf das Besondere vorbereitet zu sein. Es ist an der Zeit, die Geburt als das zu betrachten, was sie ist – ein wertvolles und kraftvolles Erlebnis, das es verdient, in seiner ganzen Fülle und Bedeutung gewürdigt zu werden. 


Die Petition “Frauen zahlen den Preis“ läuft noch bis zum 7. Mai.  
 
Link zur Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-eine-1-1-betreuungsgarantie-durch-hebammen-fuer-jede-frau-unter-der-geburt


Link zur Kampagne: https://hebammenverband.de/aktionstage/frauenzahlendenpreis  

 

Autorin: Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin Deutscher Hebammenverband e. V.